Athe-Vergleich: Norwegische Waldorfschule vs. Deutsches Gymnasium …oder auch: Athe-International: Tagebuch eines Auslandjahres – Teil V
Hiermit weihe ich freudig unsere neue Jugendreporter-Kategorie ein: Der Vergleich. Dabei stellen wir zwei Personen, Sachverhalte oder wie in diesem Fall Schultype auf und vergleichen diese miteinander. Nicht im wertenden Sinne, sondern ganz neutral und sachlich, sodass ihr euch eure eigene Meinung bilden könnt.
Ich selbst habe mir also ausgesucht, die zwei Schulen zu vergleichen, auf denen ich als Schülerin eingeschrieben bin. Unser Athenaeum und die Steinerskole Stavanger, die ich gerade im Laufe meines Auslandsjahres besuche. Dass Waldorfschulen gerne mal belächelt werden, ist bestimmt jedem schon mal aufgefallen und so hoffe ich, euch mit diesem Artikel einen neuen Blickwinkel zu ermöglichen.
Veranstaltungen: Waldorfschulen haben im Vergleich zu öffentlichen Schulen einige Traditionen, die sie Jahr für Jahr mit der gesamten Schule feiern. Als Beispiel kann ich hier Michaeli (29. September) oder Santa Lucia (13. Dezember) nennen. Zu Schulbeginn und als Ferienabschluss versammelt sich zudem die gesamte Schule in der Turnhalle und zur Weihnachtszeit wird ein eigener Weihnachtsmarkt auf die Beine gestellt, auf dem Lehrer, Schüler und Eltern mithelfen.
Stundenplan: Von 8.15 bis 14.55 Uhr geht mein Schultag – mit Ausnahme des Donnerstags, an dem die Schule um 14.00 aufhört. Der größte Unterschied hierbei ist, dass wir in den ersten zwei Stunden jeden Tages das sogenannte Hauptfach haben, welches jede paar Wochen wechselt. So hat man in diesen Stunden zum Beispiel norwegische Literatur, moderne Geschichte, Mathe oder Geografie zusätzlich zu den festen Fächern. Zusätzlich dazu haben wir an zwei Tagen der Woche eine Doppelstunde Handwerksfach, die nach demselben Prinzip wie das Hauptfach abläuft, nur, dass die Fächer, die man hier hat etwas – wie der Name es schon sagt – handwerklicher sind, wie zum Beispiel Schmieden, Video oder mathematische Landvermessung (dazu in einem späteren Artikel mehr).
Fächer: Natürlich sind Waldorfschulen dafür bekannt, Eurythmie zu unterrichten, einer Art Bewegungskunst, die Elemente der Sprache Musik in Tanz umsetzt. Doch neben diesem Fach, das ich dieses Jahr tatsächlich nicht im Unterricht hatte, gibt es auch eine Anzahl anderer Fächer. Neben denen, die es bei uns am Athe auch gibt, kommen an dieser Schule noch ein paar dazu. Im zehnten und elften Jahrgang zum Beispiel Schmieden, wobei wir selbst einen Kleiderhaken, ein Messer und einen Flaschenöffner aus Eisen geschmiedet haben. Auch ist das Fach Chor fest im Stundenplan eingeschrieben. Zu Anfang des Jahres hatten wir im Hauptfach zudem Theaterhistorie. In anderen Jahrgängen widmet man sich auch dem Buchbinden, Töpfern, Kochen und Stricken.
Benotung: Anders als an den meisten anderen Schulen findet die Benotung hier nicht lediglich durch mündliche Beteiligung und Klausuren statt. Zweites findet man zwar, wenn auch hier gerne auf das zurückgegriffen wird, was wir bei uns eine Arbeitsersatzleistung nennen würden. Wir schreiben also Essays oder ähnliches, für die wir im Anschluss benotet werden. Als wir zum Beispiel Theaterhistorie hatten, sahen wir uns im Theater „Mac Beth“ (ein Stück von Shakespeare) an, über welches wir im Nachhinein eine Theateranalyse schrieben. Im Hauptfach kommen zudem die sogenannten „hovedfagsbøker“ (direkt übersetzt: Hauptfachsbücher) hinzu, in welche wir gegebenenfalls auch mit passenden Illustrationen den Unterrichtsinhalt wiedergeben. Zudem lassen einige Lehrer die Schüler auch mitbestimmen, zu wie viel Prozent was gewertet wird. Sollten die Schüler also entscheiden, dass ihre Stärke spezifisch in der mündlichen Mitarbeit liegt, so könnten sie diese zum Beispiel 50% wertend machen, wohingegen die Klausur sowie das hovedfagsbok je 25% zählen. Hinzufügend muss noch gesagt werden, dass Noten als solche erst ab der 9. Klasse kommen. Zuvor (aber auch noch danach) werden die Leistungen die Schüler mit schriftlichen Texten bewertet, die den Schülern auflisten, was gut und was verbesserungsfähig an ihrer Arbeit ist.
Schulabschluss: Wer im 13. Jahrgang auf einer Waldorfschule die Schule abschließen möchte, stößt auch hier wieder auf einige Unterschiede. Neben den regulären Unterrichtsfächern, die auch als solche im Abschlusszeugnis benotet werden, gibt es noch ein weiteres Fach, die „Jahresaufgabe“, die die Abschlussprüfungen ersetzt. In der 12. Klasse darf sich ein jeder Schüler ein Thema aussuchen, zu dem er diese Aufgabe bearbeiten möchte, als einziges Kriterium gilt dabei, dass es eine Fragestellung zu einem Problem geben muss sowie eine Lösung dazu. Des Weiteren kann man seine Jahresaufgabe mit einem theoretischen oder praktischen Schwerpunkt bearbeiten. Zwar muss man bei beiden ein Essay verfassen, doch ist dieses kürzer, wenn man einen praktischen Schwerpunkt wählt. Im Gegenzug muss man sich aber 100 Stunden lang einer praktischen, themabezogenen Aufgabe widmen. Dieses Jahr hat beispielsweise jemand eine E-Gitarre gebaut oder eine Reihe Bilder zum jeweiligen Thema gemalt. Zwar muss man auch mit theoretischem Schwerpunkt eine praktische Aufgabe einbauen, doch wird nicht erwartet, dass diese so viel Zeit in Anspruch nimmt. Im März – nach den norwegischen Winterferien – müssen diese Jahresaufgaben dann einem Publikum vorgestellt werden. Das Bewerten der Aufgaben übernehmen Lehrer sowie Fachmänner- und Frauen auf dem gegebenen Gebiet. Diese Art eines Schulabschlusses ist genauso gültig wie alle anderen in Norwegen, wenn es darum geht, sich auf Universitätsplätze, Ausbildungsplätze und Arbeit zu bewerben.
Anderes: Des Weiteren habe ich erlebt, dass die Schule hier in Norwegen um einiges persönlicher ist, was aber auch an der Größe der Schule liegen kann. Die meisten Klassen sind kleiner als am Athenaeum, wodurch die Unterrichtsatmosphäre oft etwas entspannter ist. Zudem wird hier viel auf Vertrauen und eigenes Einbringen gelegt. So haben wir Schüler nicht nur ein Sofa, sondern auch einen Tischkicker in unseren Klassenraum integriert. Des Weiteren dürfen die Schüler das Essenmachen und -verkaufen in der Kantine übernehmen und sich somit Geld in die Klassenkasse verdienen.
Dies sind die größten Unterschiede, denen ich während meines nun achtmonatigen Aufenthalts über den Weg gelaufen bin, wenn auch es mit Sicherheit nicht alle sind. Ich hoffe, euch hat dieser Einblick in zwei von Grund auf verschiedene Schulsysteme interessiert. Auf Wiederlesen!
von Julie Poulain