Bis ins Landesfinale debattiert – und viele tolle Erfahrungen gesammelt

Corona dominiert derzeit die Schlagzeilen. Das wird vermutlich auch noch eine Zeit lang so bleiben. Aber es wird eine Zeit nach Corona geben – und es gab eine Zeit vor Corona. Weil nicht alle Themen vor der Schulschließung abgearbeitet wurden, holen wir dies nun nach. Ein Thema war unser erfolgreicher Schulsprecher Tim Evers, der sich für das Landesfinale von Jugend debattiert qualifiziert hatte, welches in Niedersachsen (als einzigem Bundesland) auch noch ausgetragen wurde. Hier sein Erfahrungsbericht vom Weg nach der Schulqualifikation bis zum Landesfinale.
Ich fange mal vorne an. Nachdem ich mich in Zeven für das Regionalfinale von Jugend Debattiert 2020 qualifiziert hatte, war ich zunächst ziemlich kaputt. Da man beim Debattieren permanent konzentriert sein muss, insbesondere um alle Regeln zu beachten und die Beiträge der Mitdebattanten alle bis ins Detail zu verstehen, ist es doch sehr anstrengend. Zudem finden die Wettbewerbe erst ab der Landesebene vormittags statt. Bis zur Regionalebene (außer dem Finale) finden die Wettbewerbe nach der Schule statt. So war ich am Abend der Qualifikation für das Regionalfinale sehr kaputt und habe nicht mehr viel gemacht. Am nächsten Tag habe ich mich dann aber direkt nach der Schule wieder an meinen Computer gesetzt und das Thema „Soll die Polizei in Pressemitteilungen die Nationalität von Tatverdächtigen veröffentlichen?“ vorbereitet. Dass dieses Thema entweder in der Regional-Qualifikation oder im Regional-Finale drankommt, war mit von Anfang an bekannt, weshalb ich mich schon etwas darauf vorbereitet hatte. Für das Finale geht man dann aber doch noch mal mehr ins Detail. Besonders schwierig ist hierbei natürlich, dass man erst ungefähr zwei Stunden vor dem Finale erfährt, welche Position man vertritt.

Meine Vorbereitung läuft meistens so ab, dass ich zunächst alle Begrifflichkeiten der Fragestellung kläre und definiere. Dabei lege ich mich immer auf eine Definition des Begriffs fest, die ich gut begründen kann. So ist bei dieser Frage z.B. zu klären gewesen, was genau ein Tatverdächtiger eigentlich ist. Mein erster Blick geht dann meistens in die verschiedenen Gesetze, wo ich nach entsprechenden Vorschriften und Paragraphen suche. Früher war das noch sehr mühselig, doch mittlerweile kenne ich mich bei den Gesetzen schon relativ gut aus, was bestimmt auch daran liegt, dass ich später selber Rechtswissenschaften studieren möchte. Anschließend formuliere ich eine Eröffnungsrede für die Pro-Seite aus und für Contra schreibe ich eine in Stichpunkten. Dann gehe ich tabellarisch vor und liste Pro-, sowie Contra-Argumente auf und stelle diesen mögliche Entkräftungen und weitere Verstärkungen gegenüber. Ich führe also schon mal gedanklich eine Debatte und überlege mir, was jemand auf diese Argument antworten könnte. Argumente finde ich meistens, indem ich mir Statistiken anschauen oder Studien lese. Meist sind „Jugend-debattiert-Themen aktuelle Themen, sodass sich auch Zeitungsartikel zu diesen finden. Sehr gerne schaue ich auch ins Grundgesetzt, da man Grundgesetzartikel gut verwenden kann, um Sachverhalte endgültig zu klären. Hierbei ist es auch hilfreich, in die Gesetzeskommentare zu schauen oder sich Gerichtsurteile durchzulesen, um zu schlussfolgern, wie Artikel und Paragraphen ausgelegt werden. Insbesondere beim Strafgesetzbuch und dem Bürgerlichen Gesetzbuch findet man dazu sehr viel. Sehr gerne schaue ich mir auch Positionen und Zitate verschiedener Personen an, die sich mit der Debattenfrage auseinandergesetzt haben, da es immer gut ist, auch Expertenmeinungen zu kennen oder zu wissen, wer sich wie positioniert, um ein Thema bewerten zu können. Wenn ich mich inhaltlich gut vorbereitet fühle, bereite ich mich auf die Debatte an sich vor und lese mir noch mal sämtliche Regeln durch und überlege mir, wie ich mich gut ausdrücken und an andere anknüpfen kann.
Da zwischen der Regional-Qualifikation und dem Regional-Finale nur zwei Tage liegen, ist eine disziplinierte und intensive Vorbereitung unumgänglich. Am Abend vor dem Finale schaue ich mir meine gesamte Vorbereitung noch mal und nehme den letzten „Feinschliff“ vor. Ich versuche dabei aber, die Argumente nie ausformuliert auswendig zu lernen, sondern den Sachverhalt multiperspektivisch zu bewerten und Argumente, Beispiele, Daten und Fakten beider Seiten im Kopf zu haben, da man während der Debatte keine Notizen verwenden darf. Am Tag des Finals habe ich mich dann mit meiner Mitdebattantin ausgetauscht und mir ihr besprochen, wer von uns welche Argumente usw. vorträgt und wie wir uns gegenseitig ergänzen können. Während der Debatte schreibe ich auf meinem Blatt mit, was die Pro- und was die Contra Seite im Allgemeinen sagt und wo Gemeinsamkeiten und wo Unterschiede liegen, um gut auf alles eingehen zu können. Dabei versuche ich meist, ein Argument aufzugreifen, wenn möglich zu widerlegen und aus meiner Sicht weiterzuführen oder ein neues ins Spiel zu bringen.
Nachdem ich mich für den Landeswettbewerb qualifiziert hatte, habe ich als Preis ein dreitägiges Rhetorikseminar gewonnen. Obwohl ich an einem solchen bereits als Regionalsieger von 2018 teilgenommen habe, habe ich mich entschieden, in diesem Jahr wieder hinzufahren und dafür auf drei Tage meines Praktikums am Stader Landgericht zu verzichten. Und auch im Nachhinein würde ich mich wieder so entscheiden. Denn einerseits bekommt man auf dem Seminar von ehemaligen Teilnehmern des Bundesfinales, die mittlerweile oftmals Rhetorik oder Rechtswissenschaften studieren, wertvolle Tipps und Tricks in Bezug auf die Debatten, aber auch allgemein in Bezug auf die Rhetorik. Diese reichen von der Frage, wie man schnell und einfach seriöse Quellen findet und Sachverhalte googelt, über das Auswerten von Statistiken und Bewerten von Zitaten bis hin zu rhetorischen Tipps zum Gebrauch der Stimme, Gestik und Mimik sowie einem sicheren und selbstbewussten Auftreten (auch vor großem Publikum). Darüber hinaus lernt man alle TeilnehmerInnen des Landeswettbewerbs kennen und es ist immer wieder sehr schön, auf so viele nette und witzige Leute aus ganz Niedersachsen zu treffen. Neben den Einheiten in der inklusive TrainerInnen acht Personen starken Trainingsgruppe hat man auch sehr viel Spaß zusammen. Das Rhetorikseminar in Niedersachsen findet immer in einem Hotel statt, sodass es auch viele Möglichkeiten für Unternehmungen gibt. In der Freizeit standen neben dem gemeinsamen Essen und Philosophieren über Gott und die Welt auch Besuche der Innenstadt von Bad Nenndorf an. Außerhalb der Trainingszeiten gibt es auch von den TrainerInnen ein vielfältiges Angebot, welches von den Themen „Lampenfieber loswerden“, über „Jurabasics“ bis hin zu „Chillen und Schnacken“ reicht.
Es ist also immer eine sehr schöne Zeit, bei der man viele neue Leute kennenlernt, sich in seinen Interessengebieten weiter informieren kann, aber auch jede Menge wichtige und nützliche Dinge in Bezug auf die Rhetorik und Sprache lernt.
Etwas nach dem Rhetorikseminar, genau zehn Tage vor dem Landeswettbewerb, erhält man dann die Themen für diesen. Meine Vorbereitung sieht dann wieder so aus wie oben beschrieben, nur dass sie natürlich noch etwas intensiver ist als für den Regionalwettbewerb. So habe ich in diesem Jahr zu allen drei Themen selber Umfragen durchgeführt, da ich im Internet nicht viele Statistiken gefunden habe und mich zudem die Meinungen aus meinem direkten Umfeld interessiert haben. Natürlich wendet man auch die ganzen erlernten Dinge des Seminars bei der Vorbereitung an und bereitet sich nicht nur inhaltlich, sondern auch rhetorisch auf den Wettbewerb vor, indem man z.B. mit verschiedenen Gestiken und Stimmlagen übt. Die Argumente für den Landeswettbewerb sind dabei genau recherchiert und gut begründet. So schreckt es einen auch nicht ab, wenn man zu bestimmten Themen Gutachten liest, die über 100 Seiten gehen.
Die Anreise zum Landeswettbewerb selber erfolgt dann bereits sehr früh morgens, da dieser um 10 Uhr morgens im Landtag in Hannover beginnt. Die Müdigkeit ist aber schnell weg, da man sich dort zunächst freut, alle anderen Teilnehmenden wieder zu sehen und zu erfahren, bei welchen Fragestellungen man mit wem debattiert und welche Positionen man vertritt. Im Gegensatz zum Regionalwettbewerb kennt man seine Mitdebattanten durch das Seminar bereits sehr gut und weiß, wer wo seine Stärken hat. Zunächst kennt man aber nur seine Positionen und erfährt erst ca. 15 Minuten vor Beginn der Debatte, welche Fragestellung debattiert wird, sodass man sich dann schnell und intensiv mit seinem Mitdebattanten austauscht. Während der Debatte sind alle natürlich sehr konzentriert und passen genauestens auf, wobei jede kleine Unklarheit angesprochen und hinterfragt wird, sodass sehr intensive Debatten entstehen. Dabei ist es aber meiner Meinung nach sehr wichtig, immer gelassen zu bleiben, sich zu konzentrieren und seine Argumente gut, präzise und kurz zu formulieren sowie gut zu begründen. Auch ist es wichtig, den Fokus nicht zu verlieren und die Gesamtdebatte im Hinterkopf zu behalten, sodass sich diese nicht nur um ein Argument dreht. Hinterher atmen dann alle erst einmal durch und man tauscht sich aus, wobei auch oft ein paar lobende Worte fallen. Nach ca. zehn Minuten Wartezeit erhält man dann ein kurzes Feedback mit einem Tipp von der Jury. Zwischen den Debatten ist dann Zeit für ein paar Unterhaltungen oder eine Führung durch den Landtag. Auch die Landessieger der letzten Jahre sind meist anwesend.
Am Ende erfährt man dann das Ergebnis und weiß, ob es für das Finale und Weiterkommen zum Bundeswettbewerb in Berlin gereicht hat oder eben nicht. Dann ist es meistens schon 17 Uhr und alle sind sehr müde und kaputt. Für mich ging es dann auch nach Hause und direkt ins Bett. Für Berlin habe ich mich nicht qualifiziert, aber viel wichtiger: Was ich in diesem Jahr besonders toll fand war die Tatsache, dass meine Seminargruppe immer noch Kontakt zueinander hat und wir uns nach Corona auch noch mal treffen wollen.
Abschließend kann ich sagen, dass Debattieren extrem viel Spaß macht und man sehr viele nützliche Dinge lernt, die man auch im späteren Leben gut gebrauchen kann. Debattieren kann außerdem jede*r und man muss nicht besonders gut oder interessiert in Deutsch oder andern Fächern oder Richtungen sein. Die Leute die ich getroffen habe, haben alle sehr unterschiedliche Interessen und Hobbies. Insofern kann ich jedem, der Lust auf eine kleine Herausforderung und Spaß beim Auseinandersetzen mit Themen hat, nur empfehlen, bei Jugend debattiert mitzumachen. Es lohnt sich! ☺

 

von Tim Evers

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