Nachgedacht über: Pride Month und Pinkwashing
Im Juni dieses Jahres war es mal wieder so weit: Der Monat, der offiziell als Pride Month bekannt ist, war wieder die Zeit, in der einem von überall her Regenbogenfarben entgegenleuchteten. Auch wenn die Akzeptanz gewachsen ist und sich scheinbar immer weiter in der Gesellschaft verbreitet, gibt es auch noch einige, die sich durch die starke Präsenz der Pride-Bewegungen und der dazugehörigen Botschaften und Statements gestört fühlen oder sie aus verschiedenen Gründen kritisieren. Auch wenn die Problematik und Diskussion um die Themen noch immer aktuell ist und sich in manchen Bereichen scheinbar noch zunehmend weiter hochschaukelt, ist vielleicht gar nicht allen klar, warum der Pride Month und gerade die damit verbundenen Events noch heute so kontrovers diskutiert werden, und mit vielen Schwierigkeiten einhergehen.
Der Juni als Pride Month und somit als Monat der Diversität und deren Repräsentanz geht auf die sogenannten Stonewall-Unruhen 1969 in New York zurück. Dort kam es im „Stonewall Inn“, einer hauptsächlich von Mitgliedern der LGBTQ+ Community besuchten Bar in der Christopher Street, zu einem spontanen Protest, als Polizisten am frühen Morgen das Lokal stürmten, um es zu räumen und die Feierlichkeiten zu unterbinden. Als die Beamten begannen, Gewalt einzusetzen, leisteten die Gäste der Bar, darunter auch einige heute als queere Aktivist:innen berühmten Personen, kurzerhand Widerstand. Auf die Ereignisse dieser Nacht folgten später viele große Protestbewegungen der LGBTQ+- Community, aber auch feierliche Traditionen wie der Pride Month und der Christopher Street Day. Diese Veranstaltungen dienen nun sowohl zum Feiern der Community und ihrer Vielfalt als auch zum großen Teil immer noch dem Protest für ihre Rechte und ihren Platz in der Gesellschaft. Mit den Jahren sind die Feierlichkeiten gerade in großen Städten immer bunter und ausschweifender geworden. Doch während sich immer mehr Menschen verschiedener Gruppen und Orientierungen den Paraden anschließen und die Bewegung stärken, springen auch einige vermeintliche Unterstützer:innen mit auf, die die eher mit Skepsis betrachtet werden: große Unternehmen. Das Grundproblem, auf das wir hier stoßen, ist wahrscheinlich allen schonmal begegnet. In jedem Juni beginnen sämtliche Vertreter, große Marken, aber auch Parteien und Organisationen, sich mit Regenbogenfarben zu schmücken und mit mal mehr, mal weniger kreativen Slogans für Akzeptanz und Vielfalt auszusprechen. Auch auf den CSD-Paraden selbst sind viele von ihnen mit ausgefallenen Fahrzeugen, bunten Werbebannern und lauter Musik dabei, um den Zug der Feiernden zu begleiten. Auf den ersten Blick ist dieser Einsatz natürlich etwas Gutes und man sollte sich freuen, wenn auch einflussreiche Player der Weltwirtschaft sich offen und positiv gegenüber sexueller und gesellschaftlicher Vielfalt zeigen. Bei genauerem Hinsehen fällt aber auf, dass hinter dieser vermeintlich progressiven Haltung wenig tatsächliches Engagement steckt. Viele Unternehmen oder Marken setzen sich nach außen hin für bestimmte Minderheiten und deren Rechte ein, um sich selbst als besonders weltoffen oder tolerant darzustellen. Wenn dahinter aber keine ehrliche Motivation steckt und das Vorgehen nur zur eigenen Bewerbung, sowie dem Pflegen eines guten, modernen Images dient, ist die Rede von Pinkwashing oder auch Rainbow-Washing. Über diesen oder einen ähnlichen Begriff ist wahrscheinlich jeder schonmal gestolpert. Es gibt eine ganze Gruppe dieser Worte wie Greenwashing (dem Vorgeben eines nachhaltigen und ökologischen Engagement) oder Blue-Washing (vorsätzliches soziales Engagement). Woke-Washing (das Vorgeben einer aufgeklärten und progressiven Haltung) oder auch Social-Washing sind etwas allgemeiner gefasste Begriffe, sie alle gehen aber auf den Ausdruck „Whitewashing“ zurück, der im Deutschen etwa „Schönfärberei“ bedeutet. Pinkwashing als Bezeichnung geht auf einen Fall in den USA zurück, bei dem verschiedene Kosmetika mit einer pinken Schleife, also dem Zeichen für Solidarität gegen Brustkrebs, auf der Verpackung beworben wurden. Dies war dahingehend kontrovers, dass die Produkte im Verdacht standen, selbst krebserregend zu sein. Seitdem wird die Bezeichnung vor allem im Zusammenhang mit der LGBTQ+ Community aber auch mit Engagement für Diversität allgemein verwendet. Auch Rainbow-Washing kann in diesem Zusammenhang ebenfalls verwendet werden, bezieht sich aber vor allem auf das Bewerben explizit durch die Verwendung von Regenbogenfarben.
Wie gesagt wollen die Unternehmen mit ihren Aktionen ein positives Bild erzeugen, was auch bis zu einem gewissen Grad funktioniert. Doch wenn man sich all das etwas genauer ansieht, kann einem dieses Verhalten schon ein wenig sauer aufstoßen. Denn sich im Rahmen eines bestimmten Anlasses wie dem Pride Month für Diversität einzusetzen, um dann nach Ende des Monats plötzlich kein Wort mehr darüber zu verlieren, ist nicht nur ziemlich respektlos gegenüber der LGBTQ+ Community, sondern kann auch gefährliche Auswirkungen haben.
Wenn zum Beispiel ein Unternehmen das Profilbild seines Social-Media Accounts im Juni mit Regenbogenfarben hinterlegt, um Toleranz zu zeigen, diese kleine Änderung aber pünktlich am Ende des Monats wieder rückgängig macht, wirkt die Aktion nicht besonders glaubhaft. Hierüber ließe sich jetzt streiten, denn das Design des Logos ist in der Regel ja eine freie Entscheidung. Und nur weil es sich auf die Zeit des Pride Month beschränkt, heißt es ja nicht, dass ein solches Zeichen nicht trotzdem ernst gemeint sein und einen tatsächlichen Einsatz für Toleranz darstellen kann. Vor allem in Ländern wie den USA gibt es aber auch einige Unternehmen, die ihre Aktionen wie das Angebot einer Pride-Kollektion oder verschiedene Statements bzw. Designs auf Social Media Plattformen schon vorzeitig wieder zurücknehmen, nur weil sie von einigen Gegnern der Bewegung kritisiert werden und damit ihr Geschäft gefährdet sehen. Gerade hierbei sieht man, dass die Statements oft wirklich nicht die Priorität haben, die sie darstellen sollen und dass sie nur so lange genutzt werden, wie sie sich positiv auf die Profite auswirken. Sobald das Gegenteil der Fall ist, oder sich auch nur einige Kritiker:innen laut genug darüber echauffieren, dass das Bild einer negativen Meinung entsteht, wird zurückgerudert und das Thema nie wieder erwähnt. Doch solche verhältnismäßig kleinen Entscheidungen sind noch lange nicht alles, womit Unternehmen im Pride Month und darum herum negativ auffallen. Denn auch, wenn sich immer mehr Konzerne in Werbung und Öffentlichkeitsarbeit für die LGBTQ+ Community einsetzen, heißt das noch lange nicht, dass sie diese Einstellung auch konsequent umsetzen. Viele Hersteller von zum Beispiel Kleidung oder Hygieneartikeln betonen zwar jedes Jahr im Juni, wie wichtig ihnen Akzeptanz und Gleichberechtigung in der Gesellschaft sind, gehen mit ihren Angeboten aber trotzdem kaum auf die individuellen Interessen und Bedürfnisse der LGBTQ+ Community ein. Ein vermeintlich tolerantes und weltoffenes Image garantiert leider auch nicht, dass queere Mitarbeiter:innen in den eigenen Betrieben tatsächlich die gleichen Rechte haben. In vielen Fällen ist es noch traurige Realität, dass sie sowohl finanziell als auch sozial benachteiligt sind oder gar nicht erst eingestellt werden. Doch es geht noch schlimmer; gerade große Konzerne oder Organisationen, die in der ganzen Welt aktiv sind und Geschäfte machen, stehen hier stark in der Kritik. Natürlich wollen auch sie ihr Image mit Regenbogen-Botschaften aufpolieren, um ihre gute Position in der gesellschaftlichen Wahrnehmung und damit auch auf dem Weltmarkt zu sichern. Doch da für die meisten von ihnen leider auch das Geld die größte Rolle spielt, scheuen sie sich nicht davor, Entscheidungen zu treffen, die diesen Idealen eindeutig widersprechen. Zum Beispiel findet man ihre Kampagnen nur in Ländern, in denen eine entsprechende Haltung auch gern gesehen wird. In Staaten, in denen Homosexualität zum Beispiel illegal ist und unter Strafe steht, kann man von dem angeblich so wichtigen Einsatz für die LGBTQ+ Community nichts finden. Mit derartigen Statements würde man als Konzern dort sehr schnell seinen Einfluss und sein Image aufs Spiel setzen und das wollen diese großen globalen Player natürlich nicht riskieren. Dieses Verhalten ist nicht nur scheinheilig und inkonsequent, sondern auch hochgradig respektlos gegenüber der queeren Community. Außerdem beweist es erneut, dass Geld mal wieder eine größere Rolle spielt als sämtliche ethische Werte oder gegenseitiger Respekt.
Das ist in erster Linie gemein und ärgerlich, aber wo liegt nun die konkrete Gefahr? Ein großes Problem ist vor allem die Wirkung auf das öffentliche Bild der LGBTQ+ Community. Wenn diese große Unterstützung und Anteilnahme, die überall in den Medien aufblüht, nur im Juni auftaucht und dann plötzlich wieder verschwindet, kann das auch für viele andere den Eindruck erwecken, als wäre die Pride-Bewegung und die Unterstützung dieser nur im Pride Month wirklich wichtig, also nur eine saisonale Sache, mit der sich einmal im Jahr für ein paar Wochen alle beschäftigen, die aber danach wieder unwichtig wird. Gleichzeitig nimmt es dem ganzen Thema ein bisschen den Ernst, wenn alle Unternehmen die Diversität als Aufhänger für ihre Marketingstrategien benutzen und mit ihren Pride-Kollektionen nur versuchen, einen möglichst großen Profit zu erzielen. Natürlich gibt es in diesen Kollektionen auch viele Produkte, die tatsächlich schön sind und die auch Leute kaufen, um ihr Engagement für queere Menschen zu zeigen. Und natürlich gibt es auch Institutionen, die sich wirklich ehrlich für die Community und eine positive Veränderung in der Gesellschaft einsetzen und damit auch durchaus einen positiven Einfluss generieren. Trotzdem sollte man sich immer fragen, was nun die wahre Intention hinter solchen Aktionen ist und welche Wirkung sie auf die Gesellschaft haben können. Gerade Menschen, die selbst nicht betroffen sind oder im Alltag auch gar keine Berührungspunkte mit dem Thema haben, sehen es so vielleicht nur in den Medien und in der Werbung, wodurch sie es auch in erster Linie damit assoziieren und nicht wirklich das Ausmaß und die Relevanz des Themas begreifen.
Schließlich geht es hier immer noch darum, für die Menschen und ihre Rechte zu kämpfen, die in vielen Teilen der Welt, aber auch hier in Deutschland, noch immer benachteiligt werden und an vielen Stellen in der Gesellschaft nach wie vor mit vielen Unsicherheiten sowie negativen Reaktionen und Stigmata zu kämpfen haben. Nur, weil durch viele mutige Kämpfer:innen in den vergangenen Jahren schon viel erreicht wurde und viele queere Menschen nun schon wesentlich besser leben können als es damals der Fall war, ist dieser Kampf noch lange nicht vorbei. In vielen Ländern müssen Anhänger der LGBTQ+ Community um ihr Leben fürchten, weil sie strukturell ausgegrenzt und unterdrückt werden, viele von der Politik, andere auch „nur“ von ihren eigenen Familien, was häufig noch viel schmerzhafter sein kann. Es gibt viele Gründe dafür, dass Menschen ihre Heimat verlassen müssen, und aufgrund seiner sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität verfolgt zu werden und dadurch ständiger Lebensgefahr ausgesetzt zu sein, gehört auf jeden Fall auch dazu. Deswegen müssen wir uns alle vor Augen halten, wie wichtig diese Bewegungen sind, dass es hier nicht nur ums Feiern und das Tragen schöner Farben geht. Es geht um Zusammenhalt und um die Leben von Menschen, die genauso einen Platz in der Gesellschaft haben, wie alle anderen, sich diesen aber leider oft noch hart erkämpfen müssen. Egal, ob queer oder nicht, jeder kann sich für die Community einsetzen. Im Pride Month wird überall daran erinnert, wie wichtig es ist, andere so zu akzeptieren, wie sie sind, mit Vorurteilen aufzuräumen und offen in die Welt zu gehen. Es sollte uns aber trotzdem das ganze Jahr über wichtig sein. So wie es auch mit vielen anderen Bewegungen und Anlässen ist, die vielleicht an einem besonderen Tag gewürdigt werden und besonders viel Aufmerksamkeit bekommen, aber trotzdem immer ein Teil unserer Gesellschaft und unseres Bewusstseins sein sollten. Es ist nicht schwer, einen Teil dazu beizutragen, man kann oft schon bei der eigenen Einstellung anfangen. Für alle, die sich darüber hinaus engagieren oder informieren wollen, gibt es Tausende von interessanten Medien und Quellen, die jedem ans Herz zu legen sind. Weiter unten findet ihr schon einige Beispiele…
Quellen:
https://en.wikipedia.org/wiki/Pride_Month
https://www.studysmarter.de/magazine/pride-month/
https://utopia.de/ratgeber/rainbow-washing-was-ist-das-und-was-kannst-du-tun/
https://utopia.de/ratgeber/pinkwashing-das-steckt-dahinter/
https://utopia.de/ratgeber/social-washing-lass-dich-nicht-in-die-irre-fuehren/
von Kari Wenk